Warum wir Entwicklungszusammenarbeit brauchen: Dr. Stephan Klingebiel (IDOS Institut)

Shownotes

Seit einiger Zeit können wir beobachten, dass die gesellschaftliche Debatte über Entwicklungszusammenarbeit kritischer geworden ist – oft verbunden mit der Frage, ob wir nicht zuerst „unsere eigenen Probleme“ in Deutschland lösen sollten. Die Folge ist ein zunehmender Rechtfertigungsdruck für globales Engagement. Dabei lässt sich ganz klar sagen: Entwicklungszusammenarbeit ist keinesfalls rein altruistisch, sondern auch in unserem eigenen Interesse. Warum das so ist, bespricht Moderatorin Andrea Gerhard in dieser Folge mit Dr. Stephan Klingebiel vom German Institute of Development and Sustainability (IDOS).

Im Gespräch beleuchten wir unter anderem… …welche Ziele die internationale Entwicklungszusammenarbeit eigentlich verfolgt, …mit welchen globalen Herausforderungen wir es in diesem Themenfeld aktuell zu tun haben, …wie die Entwicklungszusammenarbeit zur Stärkung der geopolitischen Position Deutschlands und unseres Wohlstands beiträgt, …und warum auch die kommunale Ebene für erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit entscheidend ist.

Mehr zur aktuellen Forschung des IDOS zu Fragen globaler nachhaltiger Entwicklung gibt es auf der Website des Instituts: https://www.idos-research.de/

Und auf der Seite des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) finden sich spannende Antworten auf die häufigsten kritischen Fragen zu Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit: https://www.bmz.de/de/fragen-an-das-entwicklungsministerium

Auch Kommunen sind wichtige Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit – zum Beispiel in gemeinsamen Projekten mit Städten und Gemeinden in Ländern des Globalen Südens. Wenn auch ihr und eure Kommune sich hier engagieren wollen, unterstützt dabei die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW). Unser kostenfreies Angebot zur Stärkung der kommunalen Entwicklungspolitik findet sich hier: https://skew.engagement-global.de/unsere-angebote.html

Der Podcast „Kommune bewegt Welt“ wird produziert von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) von Engagement Global im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

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Transkript Folge IDOS

Kommune bewegt Welt - der Podcast der SKEW

Andrea Gerhard

Herzlich Willkommen zu einer neuen Episode von Kommune bewegt Welt. Mein Name ist Andrea Gerhard und ich freue mich, dass ihr auch wieder eingeschaltet habt. In diesem Podcast sprechen wir über kommunale Entwicklungspolitik, also über das entwicklungspolitische Engagement von Städten, Landkreisen, Gemeinden für eine nachhaltigere Welt. Und seit einiger Zeit können wir beobachten, dass die gesellschaftliche Debatte über die Sinnhaftigkeit von Entwicklungszusammenarbeit an Dynamik gewonnen hat. Und das kommt natürlich auch in den Kommunen an. Die Folge davon ist ein deutlich zunehmender Rechtfertigungsdruck für das globale Engagement. Und in dieser Folge wollen wir den Blick etwas weiten und auf das große Ganze richten und fragen: Warum brauchen wir Entwicklungszusammenarbeit? Und ich freue mich sehr auf unseren heutigen Gast und Experten zum Thema, es ist der PD Dr. Stephan Klingebiel, Politikwissenschaftler und Abteilungsleiter Inter- und transnationale Zusammenarbeit am German Institute of Development and Sustainability, kurz IDOS, in Bonn. Und ich möchte mit Stephan darüber sprechen, mit welchen globalen Herausforderungen wir es aktuell, inwieweit uns das in Deutschland überhaupt betrifft oder betreffen sollte und welchen Beitrag die Entwicklungszusammenarbeit leisten kann. Und damit sage ich herzlich willkommen, lieber Stephan bei Kommune bewegt Welt.

Dr. Stephan Klingebiel

Hallo Andrea, Ich freu mich dabei zu sein.

Andrea Gerhard

Ja, ich freu mich, dass wir uns auch im Vorfeld auf das Du geeinigt haben, so direkt sprechen können über dieses wirklich wichtige Thema, dem du auch deinen beruflichen Werdegang so ein bisschen gewidmet hast. Seit wann bist du am IDOS, wenn ich fragen darf?

Dr. Stephan Klingebiel

Schon seit 1993.

Andrea Gerhard

Wow, nicht schlecht! Ich habe ja schon unser Thema grob angerissen. Lass uns doch mal einen Einstieg wagen in das ganze Thema Entwicklungszusammenarbeit vielleicht mit der generellen Aufgabe, zumindest wie du, oder wie man sie definieren kann. Also was ist die Aufgabe von Entwicklungszusammenarbeit und wie unterscheidet sich das von der humanitären Hilfe zum Beispiel?

Dr. Stephan Klingebiel

Also es ist auf jeden Fall wichtig, das zu unterscheiden. Also Entwicklungszusammenarbeit ist das, was längerfristig versucht, Strukturen aufzubauen, Grundlagen zu legen, damit Menschen, Länder, bessere Möglichkeiten haben, menschliche Entwicklung zu ermöglichen. Es sind halt eher längerfristige Investitionen, also physische Investitionen, das können Schulen sein, Krankenhäuser, Straßenbau, andere Dinge. Das braucht natürlich Zeit, das kennen wir aus Deutschland, das ist in anderen Ländern nicht anders. Das können aber auch so Sachen sein: Wie kann man Institutionen überhaupt befähigen, dass sie das, was sie machen sollen, tun können? Ob das die Schulverwaltung ist, ob das Korruptionsbekämpfung durch Rechnungshöfe ist - all das sind Sachen, die in der Regel nicht nur Jahre brauchen, sondern tatsächlich eher eine längerfristige Perspektive. Humanitäre Hilfe ist das, was unmittelbar einen Beitrag leisten soll, um menschliches Leid zu reduzieren, das können Naturkatastrophen sein, denken wir an Vulkanausbrüche, Tsunami, andere Dinge - also Ereignisse, die sich sehr plötzlich ereignen. Das sind aber oft leider auch konfliktbezogene Anlässe, also das, was wir ja gerade auch im Nahen Osten derzeit sehen, insbesondere im Gazastreifen, aber auch an anderen Stellen. Das da sind ja Dinge, Notlagen, die sich sehr schnell ereignen, wo es nicht darum geht, längerfristige Strukturen aufzubauen, sondern erstmal über Nahrungsmittel, über Unterkünfte, wie Zelte, über Medizin. Klinische Ausrüstung, das Überleben heute und morgen zu ermöglichen. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied.

Andrea Gerhard

Ja, verstehe. Vielen Dank noch mal für die Anmerkungen und die Aufklärung. Vor allem wir leben ja in politisch sehr dynamischen Zeiten. Es gibt viele Entwicklungen, sowohl bei uns national als auch international. Deswegen eine kleine Anmerkung hier an der Stelle: Wir nehmen im Dezember 2024 auf, das heißt zum Ausstrahlungstermin ist wahrscheinlich schon wieder einiges passiert, einfach nur damit wir wissen, welche Einordnung vielleicht die Antworten noch haben, die du mir geben wirst auf die nächste Frage. Denn ich möchte von dir wissen: Welche Mittel stellt denn die Bundesrepublik Deutschland für Entwicklungszusammenarbeit bereit? Und wie verhält sich das auch ja im Gesamtbudget zum Bundeshaushalt, um da vielleicht so ein Gefühl oder Vergleich zu haben?

Dr. Stephan Klingebiel

Mhm. Ja, wir haben zwei Hauptakteure, wenn es um die Bundesregierung geht. Wer diese Dinge macht. Das eine ist das Entwicklungsministerium, genauer gesagt BMZ, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, was eben für die längerfristige Entwicklungszusammenarbeit zuständig ist. Das heißt, der größte Teil dessen, was aus dem Bundeshaushalt von Deutschland für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt wird, wird über das BMZ abgewickelt. Dann haben wir aber auch noch einen recht wichtigen Teil an humanitärer Hilfe, wo in Deutschland das Auswärtige Amt zuständig ist, also sagen wir mal ein Größenverhältnis, sind etwa vier Fünftel Entwicklungszusammenarbeiten, gut ein Fünftel humanitäre Hilfe, das sind die großen Posten an Haushaltsmitteln, die von Deutschland bereitgestellt werden und die international als Entwicklungszusammenarbeit anerkannt werden. Das, was da wichtig ist, zu erkennen, ist, dass davon nur ein Teil Haushaltsmittel sind, also Mittel aus dem Bundeshaushalt. Wir haben in ganz großen Teilen auch Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit, wo jetzt die deutschen Steuerzahler nicht direkt Leistungen erbringen. Das heißt, da entstehen keine Kosten. Beispiel, das nennt sich Förderkredite der KFW. Die KFW hat ein sehr gutes internationales Rating, das heißt, die KFW kann zu sehr günstigen Konditionen Mittel auf den internationalen Kapitalmärkten bekommen und diese Konditionen sind viel, viel besser als die Konditionen, die die meisten Entwicklungsländer bekommen können. Jetzt gibt es sozusagen einen Kniff, dass die KFW diese Mittel auf den internationalen Kapitalmärkten aufnimmt und für entwicklungsförderliche Maßnahmen in Entwicklungsländern zur Verfügung stellen kann, und diese Förderkredite können auch als Entwicklungszusammenarbeit angerechnet werden. Aber die deutschen Steuerzahler wenden dafür gar nichts auf.

Andrea Gerhard

Was sind deiner Einschätzung nach die zentralen Herausforderungen oder vielleicht auch die zentralen globalen Trends, mit denen wir es bei dem Thema Entwicklungszusammenarbeit zu tun haben?

Dr. Stephan Klingebiel

Also ich würde glaub ich so vier große Themen sehen, die für sich dann genommen auch noch mal ziemlich komplex sind. Das eine ist so dieses wieder Erstarken von geopolitischen Themen, die sich ganz stark auf die Entwicklungspolitik auswirken. Ich will das an zwei, drei Beispielen verdeutlichen: Die Ukraine zählt offiziell als Entwicklungsland. Das heißt, das, was an zivile Unterstützung für die Ukraine von Deutschland, anderen europäischen Ländern, den USA, aufgewendet wird, zählt als Entwicklungszusammenarbeit. Und wenn sich die Situation nach der Offensive von Februar 22 ansehen, sehen wir eben für die darauffolgenden Jahre enorme Summen, die an ziviler Unterstützung, also Entwicklungszusammenarbeit, zur Verfügung gestellt wurden. Also für Deutschland waren das 2022 und auch 2023 jeweils deutlich mehr als 2 Milliarden Euro. Das ist in ganz großen Teilen, wie wir wissen, etwas, wo wir in Deutschland davon ausgehen, dass eine Investition in unsere eigene Sicherheit ist, es hat etwas mit Geopolitik zu tun, es hat mit der Aggression von Russland zu tun. Das heißt, das ist eigentlich ziemlich anders als was noch gemeinhin so als Motivation und als Entwicklungszusammenarbeit verstanden wird. Ein zweites wichtiges Beispiel: Wir sehen alle, dass China in Entwicklungsregionen, ob das in Afrika ist, ob das in Asien ist oder Lateinamerika, sehr präsent ist. Es gibt ja diese berühmte Seidenstraße, Belt and Roads Initiative, wo China über die letzten zehn, 15 Jahre in sehr vielen Ländern im globalen Süden, zum Teil aber auch in Europa, unheimlich in Infrastruktur investiert hat. Sie können in viele Länder Afrikas reisen und Sie kommen am Flughafen an, da ist schon der Terminal von China gebaut, die Straße in die Innenstadt von China unterstützt, sie kommen an zwei Ministerien vorbei, auch von China aufgebaut. Ich würde sagen, sehr sichtbar. Das verschafft wirtschaftliche und auch politische Einflussmöglichkeiten. Das ist für viele dieser Länder natürlich auch toll. Das wird sehr begrüßt. Aus europäisch westlicher Sicht ist es aber zum Teil auch problematisch, weil das eben Einflussmöglichkeiten von China verstärkt, aber unsere Möglichkeiten, auch Fragen von westlichen Werten und Normen, eher reduziert. Die Europäische Union hat im Dezember 2021 versucht, dem eine Gegeninitiative gegenüberzustellen, nennt sich Global Gateway, was eben ein großes Volumen auch hat. Und das, was ich damit sagen will, ist, dass vieles was auf europäischer Ebene gemacht wird, ist schon auch ganz stark ein Modell, wo es darum geht, den chinesischen Initiativen etwas entgegenzustellen. Und das sind keine kleinen Sachen, sondern wirklich auch große, große Infrastruktursachen. Das heißt also, dieser ganze Bereich Geopolitik mit den Beispielen Ukraine und China - ist total wichtig und enorm große Summen. Zweiter Bereich Klimafinanzierung, internationale Klimafinanzierung: Das, was Deutschland, das, was andere Länder an internationalen Verpflichtungen im Bereich Klimafinanzierung haben, kommt überwiegend aus den Entwicklungszusammenarbeit-Budgets. Und wir wissen: Das sind Verpflichtungen, die auf Ebene der Staats- und Regierungschefs gemacht werden und das sind Verpflichtungen, die noch mal sich auch ganz anders begründen lassen. Und wenn man das sieht, ist das natürlich auch ein ganz wichtiger verändernder Faktor. Drittes Feld ist der Bereich m Migrationsmanagement, wie das genannt wird. Das können zum Teil Qualifizierungszentren sein, was auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit macht, in Ländern wie Ghana, um Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt vorzubereiten, also auch eine starke eigene Motivation, aber sind zum Teil auch das, was so Migrationsstils genannt wird, mit Tunesien, mit Mauretanien, mit anderen Ländern, wo Migranten herkommen oder durchreisen, um da Einfluss zu nehmen, wie eben Migrationspolitik gemacht wird. Auch das ist etwas, was sehr umstritten ist, aber gerade auf europäischer Ebene mittlerweile auch sehr, sehr wichtig ist. Das heißt, wenn sie diese drei Sachen. Geopolitik, Klimafinanzierung, Migrationsmanagement, sind sie eigentlich schon relativ weit weg von diesem Brunnenbohr Perspektiven, die oft ja auch in der Öffentlichkeit, zum Teil auch in der Politik noch vorherrscht, sondern das folgt eigentlich einer ziemlich anderen Motivation. Vielleicht noch ein letzter Punkt, der aus meiner Sicht stark, so auch ein Wandel der Entwicklungspolitik mit begünstigt, ist Populismus und Rechtsnationalismus. Das sehen wir in Europa, das sehen wir ja auch mit Trump natürlich, erste Amtszeit, zweite Amtszeit. Das hat starken Einfluss, wie Entwicklungspolitik gemacht wird. In einigen Ländern bedeutet das, dass es eben auch stark zu Mittelkürzungen führt. Wir haben das zum Beispiel in den Niederlanden gesehen, zum Teil trifft das auch für einige skandinavische Länder zu, wir sehen das aber auch zum Teil an der Ausrichtung von Entwicklungspolitik, also die zum Beispiel die amerikanische Entwicklungspolitik, die sehr stark auch auf den Wettbewerb mit China setzt, also das Nutzen von Entwicklungszusammenarbeit, um China etwas entgegenzusetzen. Auch das ganze Feld Migrationspolitik, was eben auch noch mal gerade unter populistischen, rechtsnationalen Vorzeichen oft noch mal stark dadurch beeinflusst wird. Ja, also wenn sie diese vier Sachen so zusammennehmen, das sind glaube ich schon Themen, die sehr stark in den letzten fünf Jahren Entwicklungspolitik verändert haben.

Andrea Gerhard

Ja, man kann da vielleicht auch diesen Punkt oder dieses Buzzword, was da oft benutzt wird, der Polykrisen auch nennen, ne? Da ist halt sehr, sehr viel los und es ist irgendwie auch gefühlt für mich jetzt, die jetzt das erste Mal so eine Zeit der Polykrisen auch erlebt, das neue Normal in irgendeiner Art und Weise. Das passt sehr gut zu diesen vier Punkten finde ich, die du gerade genannt hast. Die alle irgendwie miteinander spielen, aber natürlich auch sich jeweils dann entwickeln und da irgendwie zu lokalisieren sind als ja Trends und Herausforderungen. Jetzt wollen wir natürlich auch über die Lösung sprechen, die du hoffentlich auch mitgebracht hast. Nämlich: Was kann denn die Entwicklungszusammenarbeit zur Bearbeitung dieser auch von dir genannten globalen Herausforderungen beitragen?

Dr. Stephan Klingebiel

Ja ich, ich würde so zwei Hauptkategorien da sehen. Also das eine ist, dass Entwicklungspolitik erst mal die Möglichkeiten für Dialogaustausch und das Aushandeln von Lösungen bieten kann. Das heißt, wir sehen ja alle, dass unsere Beziehung zu Akteuren im Globalen Süden total wichtig geworden sind. Wir sehen, wie wichtig uns ist, wie Indien auf die russische Aggression reagiert, wie das andere Länder tun. Das Gleiche gilt natürlich auch für andere Themen, Klimawandel, Pandemiebekämpfung etc. Und da können wir, glaube ich, mit Entwicklungspolitik haben wir ganz wichtige Möglichkeiten, um mit diesen Ländern uns zusammenzusetzen und über gemeinsame Ansätze, und auch welche Beiträge diese Länder selbst dann leisten können, dann zu sprechen. Also das wäre erstmal sozusagen, was ja auch oft so als Global Governance beschrieben wird. Wie kann man Plattformen schaffen? Wie kann man diese Rahmenbedingungen schaffen, um in Dialog zu treten? Das wäre so das eine. Das zweite wäre: Entwicklungspolitik ist eben ein Ansatz, wo man auch konkrete Lösungsschritte durch Projekte anbieten kann. Also denken Sie an Ebola als eine wichtige Gesundheitsbedrohung, was wir ja schon vor Covid auch in Westafrika, Zentralafrika gesehen haben. Sie haben ja ein großes Interesse daran, dass Ebola sich nicht ausbreitet und dafür sind natürlich Verhandlungen, was ich zuerst genannt hab, wichtig. Aber oft ist auch wichtig, dann zu sagen, wir brauchen da auf lokaler Ebene gute Gesundheitsversorgungsmöglichkeiten. Und da kann Entwicklungspolitik, hat Erfahrung darin, wie man dann konkret Projekte auch durchaus schnell anschieben kann, um in diesen Dingen, bei diesen Dingen, dann einen Beitrag zu leisten.

Andrea Gerhard

Total interessant. Also gut, da auch ein bisschen wirklich die Vorteile noch mal rauszustellen. Ich habe ja schon anfangs gesagt, ich komm nochmal auf das Thema Klimawandel zu sprechen. Deutschland ist ja ungefähr für 2 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, stellt aber auch nur ein Prozent der Weltbevölkerung. Welche Verantwortung tragen wir, oder trägt Deutschland, für diese Herausforderungen am Beispiel des Klimawandels?

Dr. Stephan Klingebiel

Also historisch hat Deutschland einen großen Anteil an dem, was den Klimawandel hervorgerufen, begünstigt, hat. Aktuell sind wir aber immer noch wichtig. Aktuell wissen wir aber auch, dass China ja mittlerweile auf Platz Nummer 1 ist, Indien Platz Nummer 3. Das verändert sich noch mal. Das heißt die ganze Frage: Was ist jetzt ein fairer Anteil?, ist erstmal auch natürlich politisch international umstritten, aber wir haben erstmal eine verantwortliche Rolle. Wir haben eine verantwortliche Rolle und müssen dem auch entgegenkommen. Deutschland steht da im internationalen Vergleich auch im europäischen oder auch mit den USA gar nicht schlecht da. Aber wir haben auch diese Verantwortung. Das zweite ist, und das sehen wir auch bei vielen Prozessen, damit man selber glaubwürdig international auftreten kann, muss man eben aber auch bereit sein, diesen fairen Anteil, so kompliziert das auch ist, zu berechnen, dann zu leisten, vielleicht auch manchmal in Vorleistung zu treten, um dann auch mit mehr Überzeugungskraft zu sagen: China ist mittlerweile wirtschaftlich in einer Situation, wo China auch ein Beitrag zu internationaler Klimafinanzierung leisten kann. Denken Sie an die arabischen Erdöl Staaten, die von den internationalen Verpflichtungen her sich da noch nicht so eingefunden haben, was sie eigentlich an fairen Anteil machen sollten. Und wenn Deutschland da selber aber in Vorleistung oder seinen Beitrag einbringt, stehen wir natürlich in einer ganz anderen Rolle da, als wenn wir uns versuchen würden, da zu verstecken. Wir möchten ja auch andere Länder ermuntern, da ihre Beiträge zu leisten. Das sollten wir eben auch nicht unterschätzen, dass das natürlich eine Signalwirkung auch hat.

Andrea Gerhard

Wo würdest du denn die Entwicklungszusammenarbeit auf einer Skala zwischen altruistisch und aufgeklärten Eigeninteresse eigentlich einordnen? Hier bitte ich dich jetzt natürlich um radikale Ehrlichkeit.

Dr. Stephan Klingebiel

Altruistisch ist es kaum noch. Also die Realität in vielen Entwicklungsländern ist natürlich heute auch eine andere als vor 20 oder 30 Jahren. Im Einzelfall spielt das vielleicht mit rein, aber ist überwiegend ein Investieren in eigene, längerfristige, manchmal auch in kurzfristige Interessen.

Andrea Gerhard

Unser Podcast heißt ja Kommune bewegt Welt. Unser Fokus hier in allen Folgen sind die Kommunen, die Landkreise, die sich engagieren oder engagieren möchten. Deswegen, lass uns doch noch mal auf diesen Punkt zurückkommen, nämlich welche Rolle spielt das entwicklungspolitische Engagement von Kommunen in unserem ganzen heutigen besprochenen Kontext?

Dr. Stephan Klingebiel

Also ich find das auf jeden Fall eine ganz wichtige Dimension. Also da ist natürlich die kommunale Ebene zu sehen, dass meine Kommune, meine Stadt, mein Landkreis zum Beispiel eine Partnerschaft mit einer anderen Stadt in einem Entwicklungsland zum Beispiel hat. Ein ganz wichtiger Zugang ja oft auch für Schulen, für andere Weiterbildungseinrichtungen, das heißt, das Ganze eben verständlich handhabbar zu machen. Da ist, glaube ich, die kommunale Ebene ganz, ganz wichtig für diese Form von Bildungsarbeit, Dialog mit Bürgern - das würde ich nicht geringschätzen, das ist, glaube ich, wirklich zentral. Ein zweiter Bereich, und das sehen wir ja, dass das so in den letzten Jahren auch stärker Aufwind bekommen hat, öffentliches Beschaffungswesen. Wir sehen, wie wichtig das ist, wenn es darum geht, faire, ökologisch nachhaltige Dinge mit zu unterstützen, dass natürlich Kommunen für die Auftragsvergabe für öffentliches Beschaffungswesen eine ganz wichtige Rolle haben. Und wenn Kommunen diese Überlegung: Was heißt das für globale nachhaltige Entwicklung? Was heißt das für faire Arbeitsprozesse? Was heißt das für ökologisch vertretbare Produktionsbedingungen? Wenn Kommunen das mit einbeziehen, ist das natürlich von unglaublicher Bedeutung. Also dieses öffentliche Beschaffungswesen klingt so schön technisch, ist aber glaube ich wirklich ein ganz zentrales Feld. Ein drittes Thema, was mir natürlich auch direkt einfällt, ist Migration. Das ist natürlich ein schwieriges komplexes Thema, aber Migration begegnet uns als Bürgerinnen und Bürgern natürlich auf der Straße, im Stadtviertel, hier sind Flüchtlinge untergebracht. Dass dies das betrifft, wo wir Globalisierung ja auch spüren, dass eben der Konflikt in Syrien oder anderswo letztlich auch bei uns ankommt in Form von Flüchtlingen, auch das ist etwas, was auf kommunaler Ebene zu gestalten ist, ja unsere Beziehung zu unterschiedlichen Gruppen in den Kommunen. Also von daher, das sind für mich drei ganz zentrale Dimensionen oder Zugänge zum Thema Globale Nachhaltige Entwicklung oder Entwicklungspolitik.

Andrea Gerhard

Ja, vielen, vielen Dank. Das war PD Dr. Stephan Klingebiel, Politikwissenschaftler und Abteilungsleiter Inter- und transnationale Zusammenarbeit am German Institute of Development and Sustainability, IDOS, in Bonn. Also vielen Dank für diesen wichtigen Austausch, Stephan, für deine Einschätzung und tatsächlich auch für deine ganzen Einblicke, die du uns gegeben hast. Toll, dass du heute unser Gast warst. Dank für deine Zeit.

Dr. Stephan Klingebiel

Herzlichen Dank, Andrea, fürs Interesse.

Andrea Gerhard

Und ja, das war unsere Kommune bewegt Welt Episode zum Thema “Warum brauchen wir Entwicklungszusammenarbeit? Und heute haben wir eben den Blick aufs große Ganze gewagt und uns angeschaut, warum Entwicklungszusammenarbeit eine entscheidende Rolle für eine stabilere und nachhaltigere Gesellschaft spielt. Und am erfolgreichsten ist das Ganze natürlich, wenn möglichst viele Menschen mitziehen und sich alle politischen Ebenen engagieren, insbesondere auch die Kommunen mit ihrem direkten Kontakt zur Lebensrealität der Menschen vor Ort. Und für das kommunale entwicklungspolitische Engagement gibt es Unterstützung. Wenn auch ihr euch mit eurer Kommune einsetzen möchtet, dann findet ihr in unseren Shownotes wie immer den Link zur SKEW, zur Servicestelle Kommunen in der Einen Welt. Dort gibt es inhaltliche Beratung, aber auch finanzielle und personelle Förderung für die kommunale Entwicklungspolitik, sodass ihr eure Ideen für eine gerechtere Welt vor vorantreiben könnt. Und in den Shownotes findet ihr natürlich auch alle Infos zu den Projekten des IDOs. Und damit sage ich danke fürs Zuhören. Wie immer könnt ihr uns bewerten, könnt ihr uns abonnieren oder auch weiterempfehlen. Darüber freuen wir uns sehr. Und ja, ich wünsche euch noch eine super Zeit, bis zum nächsten Mal. Alles Gute - eure Andrea. Der Podcast Kommune bewegt Welt wird produziert von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt von Engagement Global und im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

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